Oder: Von klebenden Kommissaren und pinkelnassen Polizisten
Als wir unsere Helden das letzte Mal sahen waren sie, jeder mit einem Mikro bewaffnet, einer Schar Fernsehschaffender auf Gedeih und Verderb ausgeliefert…
Wir pitchten also, was das Zeug hielt. Und soll ich euch was sagen? Wir waren gut. Wir waren richtig gut – fast, als wären wir die zwei Tage zuvor von einer Pitchtrainerin darauf vorbereitet worden!
Am Ende gab es Applaus und einige Fragen („Habt ihr schon an einen bestimmten Schauspieler für Anton Freytag gedacht?“). Wir standen Rede und Antwort, setzten uns wieder – immer noch voller Adrenalin – und lauschten gemeinsam mit Publikum und Jury den Pitches der anderen Teilnehmer.
Und soll ich euch was sagen? Sie waren gut – sie waren richtig gut. Als würden sie ihr Leben lang nichts anderes gemacht haben, als zu pitchen.
Okay, dachte ich mehr als einmal, wir haben keine Chance. Damit können wir nicht konkurrieren.
Wir alle waren in Höchstform.
Im Nachhinein gab es ein kleines Meet & Greet mit Jury und Publikum, bei denen man die Autoren noch mit Fragen löchern konnte. Irgendwas mussten wir verkehrt machen, denn während alle anderen Autoren belagert wurden, schien sich keiner zu trauen, mit uns zu sprechen. Zumindest zu Beginn. Irgendwann trauten sich die geschätzten Vertreter der deutschen Fernsehlandschafts zu uns.
„Jungs“, hieß es von einer Seite, „ich würde die Serie so gern machen. So gern.“
Das freute uns zu hören, wir kamen aber nicht umhin mit verwirrtem Lächeln zu fragen: „Was hält Sie dann davon …?“
„Eure Serie spielt in Hamburg, unsere Firma ist im Osten. Das geht leider nicht.“
„Na ja“, sagte ich, „bei dem Konzept ist ja nichts in Stein gemeißelt, man kann den Schauplatz immer noch verlegen.“
Unser Gesprächspartner nickte weise. Sagte nichts mehr. Und ging.
Ein anderer nahm seine Stelle ein: „Alte Leute im deutschen Fernsehen. Das ist schwierig. Sehr schwierig.“
„Warum?“, fragten wir, ernsthaft interessiert. Lag es vielleicht an möglichen körperlichen Gebrechen der älteren Darsteller?
„Nein“, hieß es. „Ältere Darsteller wollen eine richtige Gage.“
Nils und ich lächelten und nickten, vernichteten unsere Getränke und machten uns entbehrlich.
Kurz vor Halloween: Andrea Sawatzki in gewagter Rolle – der Joker und Harley Quinn in einer Person!
Leider ließ man uns bis zur Preisverleihung noch etwas darben, denn diese fand erst am Abend statt und zwar im Kinopalast Vulkaneifel Daun. Bis dahin waren noch gut acht Stunden totzuschlagen.
Acht Stunden, in denen wir uns mit „Haben wir oder haben wir nicht?“ hätten martern können. Was wir zum Glück nicht getan haben. Ob wir gewinnen würden oder nicht – eigentlich war es uns fast egal.
Denn wir waren wieder von einer Idee fasziniert, die uns schon vor der Fahrt nach Daun gekommen war:
Was, wenn wir den Stoff einfach für uns behielten – und eine Reihe von Romanen daraus machen? Wir wären Hauptdarsteller, Regisseur und Kameramann in einem. Würden absolute die absolute kreative Freiheit behalten, die wir bei unserem ersten Gehversuchen im deutschen Fernsehen Anno 2007 hatten einbüßen müssen. Sollten wir gewinnen, wäre das eine nette Sache, von wegen Preisgeld und so.
Sollten wir nicht gewinnen hätten wir nicht wirklich was verloren.
Dann war es so weit. Man begab sich zum Kinopalast Vulkaneifel Daun, wo auch schon ein roter Teppich ausgerollt war. Aber natürlich nicht für die Autoren! Nein, denn – was uns bis dahin nicht ganz klar gewesen war – im Kino würde nicht nur die Preisverleihung des Pitch-Wettbewerbs stattfinden, sondern auch die Premiere des nigelnagen neuen Polizeiruf 110. In der Hauptrolle: Sylvester Groth und Claudia Michelsen, welche standesgemäß in einer Limousine vorgefahren wurden und sich im Blitzlichtgewitter sonnen durften.
Durch diese hohle Gasse werden sie kommen: Ganz Daun hält den Atem an in Erwartung auf das Eintreffen schauspielerner Prominenz. Für viele vor Ort der einzige Hoffnungsschimmer in grauer Alltagstristesse.
Als es sich ausgeblitzt hatte, ging es ab ins Kino. Man fand sich auf seinen Plätzen ein, dann trat die Jury auf die Bühne. Und als die atemlose Stille ihren Höhepunkt erreichte, wurde verkündet:
„Alles, außer gewöhnlich war das Motto des diesjährigen Wettbewerbs. Und gewonnen haben die beiden realistischsten Stoffe!“ (Aus dem Gedächtnis zitiert.) Und weiter: „Normalerweise gibt es einen ersten Preis und einen zweiten – aber für dieses Jahr haben wir uns wir ZWEI erste Preise entschieden!“
Und da heißt es immer, deutsche Medienschaffende seien nicht kreativ!
Gewonnen hatten Robert Hummel mit Droge Berlin und Yves Hensel mit Der freie Markt – beides großartige Autoren und ebenso großartige Serien, vertraut mir!
Aber ein bisschen Verwirrung hatte sich bei uns doch eingeschlichen: wenn nur realistische Stoffe gewünscht waren, warum hatte man das nicht etwas klarer kommuniziert? Egal! Der erste Platz, bzw. die ersten Plätze waren vergeben – nun wurde es spannend. Wer würde den zweiten Platz machen?
Niemand. Es gab ein Händeschütteln mit den Gewinnern, dann wurde die Bühne geräumt. Die ganze Veranstaltung hatte gefühlte drei Minuten gedauert. Na ja, wie heißt es doch so schön: in der Kürze liegt die Würze! Und wer will schon Autoren auf der Bühne sehen? Oder sie – Gott behüte! – nach ihrer Inspiration fragen, ihren Plänen für die Zukunft oder ähnlichen Firlefanz.
Also ehrlich!
Licht aus, Spot an, der Polizeiruf begann. Und Heidewitzka, was für ein Polizeiruf das war! Es gab darin zu bestaunen:
– mindestens zwei Fälle von nicht geahndeter Polizeibrutalität
– einen Beamten, der scheinbar überall eine barbiegroße Flieger-Puppe mit sich herumschleppt
– sowie seine Kollegin die ständig Sekundenkleber bereithält. Sei es, um Toilettentüren zuzukleistern oder Motorräder böser Buben zu manipulieren. Wahrlich wunderbar, dieses Adhäsionsmittel.
Doch als wäre das Publikum damit noch nicht genug belohnt gewesen, gab es im Anschluss noch ein Interview mit allen Beteiligten, in denen sie einander noch einmal versicherten, was für ein Geniestreich der eben gesehene Kriminalfilm war – ich meine, für alle, die es nicht von dem Moment an gemerkt hatten, in dem einer der beiden Kommissare von einem Verdächtigen angepinkelt wurde.
Nicht nur die Brillanz der Idee „einen weiblichen Schimanski“ zu kreieren wurde untersucht, sondern auch die visuelle Anziehungskraft der „schillernden Stadt Magdeburg.“
Von derlei überbordender Kreatitvität völlig überschattet, verließen Nils und ich das Kino und suchten die nächste Dönerbude auf.
„Gott“, sagte Nils, „was wir mit den Romanen alles anstellen können!“
„Absolute kreative Freiheit“, sagte ich.
Und alles war wieder gut …
… oder hatte es vielleicht nur den Anschein? Was war es, das Nils und mich nur einen Tag später zu Schusswaffen greifen ließ? Sollte es wirklich Tote auf dem Tatort Eifel geben?
Verpasst auf gar keinen Fall das packende Finale unserer atemberaubenden Trilogie! Tatort Eifel, des Dramas dritter Teil!