Dies ist eine Geschichte von zersplitterten Träumen, großen Gefühlen, neuer Hoffnung und einer Armee barbusiger Amazonen.
Okay, der letzte Part war nur dafür da, um euch neugierig zu machen. Es kommen keine Amazonen in dieser Geschichte vor. Obwohl … vielleicht doch, nur mit einem „.de“ am Ende, statt „en.“
Alle Unklarheiten beseitigt? Gut. Dann beginnen wir – am besten am Anfang:
Wir schrieben das Jahr 2008. Die Arbeiten am dritten und letzten Band der Kenlyn-Chroniken lagen gerade hinter mir. Auch wenn ich völlig ausgelaugt von dem Zwei-Jahre-Marathon war, den die Arbeiten an dem Buch für mich bedeutet hatten, konnte ich es kaum erwarten, das nächste Buch anzufangen. Diesmal sollte das Ganze etwas kürzer werden; ein Fantasyabenteuer für Jugendliche und Junggebliebene – eines, wie ich es selbst geliebt hätte, als ich 14 war. Meine Liebe für Archäologie sollte darin zum Tragen kommen; Entdeckungsreisen zu Lande, zu Wasser und in der Luft.
Und natürlich Luftschiffe!
Der Schatz der gläsernen Wächter entstand in weniger als drei Monaten. Ich stand morgen auf, schrieb bis zum Nachmittag, aß etwas, ging vielleicht eine Runde um den Block – und schrieb weiter. Kapitel um Kapitel flog dahin – ich wollte schließlich unbedingt wissen, wie die Geschichte ausging. (Natürlich wusste ich das; aber es sind die Details, die wirklich Spaß machen.)
Ich mochte das Buch. Sehr. Vor allem die Charaktere: Kriss, die sich von der übervorsichtigen, selbstzweifelnden Akademikerin zur echten Abenteurerin mausert. Lian, der um Längen praktischer denkt als ich, und mich selbst (und Kriss) während der Handlung immer wieder überrascht hat…
Vielleicht – dachte ich damals – ist dies DAS Buch; der Roman, mit dem sich mein lange gehegter Wunschtraum erfüllt und ich endlich bei einem renommierten Verlag lande.
Nein. War es nicht. Es kam a) anders. Und b) GANZ anders.
Monate später trudelten die Absagen mit schöner Regelmäßigkeit ein. Und wie sehr sie einander ähnelten! „Danke für Ihr Interesse an unserem Verlag … Passt nicht ins Programm …“ Das Übliche. „Wir sind uns nicht sicher, ob es ein Publikum für das Buch gibt.“
Es war ernüchternd, um es milde auszudrücken. Dabei war ich mir nachwievor sicher, dass der Roman durchaus etwas taugte.
Dementsprechend blieb mir das Herz fast stehen, als von einem sehr namhaften Jugendbuchverlag zur Abwechslung mal kein großer Umschlag mit meinem Manuskript darin kam – sondern ein Brief. Immer ein gutes Zeichen!
Das Buch hatte den ersten Durchlauf geschafft: einer Lektorin gefiel es. Nun musste sie das Buch aber noch an eine Kollegin weiterreichen, danach erst würde es eine Entscheidung geben.
Ich glaube, ich habe einige Wochen lang nicht sehr fest geschlafen.
Wieder vergingen Monate. Dann traf eine Mail ein – eine Mail vom Dane-würde-seinen-rechten-Arm-oder-zumindest-eine-Niere-geben-um-dort-veröffentlicht-zu-werden-Verlag!
„Sorry“, lautete die Antwort sinngemäß. „Aber … nein.“
„Nicht gefühlvoll genug“, hieß es. „Nicht spannend genug.“
Ich glaube, den Rest des Tages bin ich durch den Alltag gewankt wie ein Zombie, mein Schädelinneres ein einziger Wirbelsturm. „Nicht gefühlvoll genug?“ Ich hätte eher das Gegenteil gesagt. „Nicht spannend genug?“ Aber alle meine Testleser hatten wegen des Buches schlaflose Nächte durchlebt! Oder … hatten sie das nur behauptet, um nett zu sein? Hatten sie am Ende vielleicht genauso wenig Ahnung, wie ich?
Mein schriftstellerisches Selbstbewusstsein segelte davon wie ein Heliumballon – nur schwer wieder einzufangen.
Es musste an mir liegen. Oder besser: an dem Buch. Es musste der letzte Mist sein, wenn es von überall her Absagen hagelte.
Oder?
Jahre vergingen. Der Schatz blieb in meiner Schublade liegen. Vieles geschah: mein Vater ging von uns, alte Beziehungen lösten sich auf, neue begannen. Neue Projekte schlugen auf mich ein.
Trotzdem blieb der Schatz immer in meinem Hinterkopf. Mist oder nicht … ich mochte das Buch immer noch. Kriss und Lian. Die Luftschiffe, das Abenteuer.
Aber was wusste ich schon?
Auf den Trichter, einen renommierten „Erwachsenenverlag“ anzuschreiben, kam ich nicht. Ich hatte das Buch als Jugendbuch konzipiert, ich konnte auf weitere Absagen gut verzichten.
Aber Dane, sagt ihr, Du hattest doch damals schon Bücher bei einem Verlag untergebracht. Warum hast Du das Skript nicht zu denen geschickt?
Das hatte ich in der Zwischenzeit tatsächlich getan.
Und musste zwei Jahre auf die Antwort warten.
Zwei. Jahre.
Siebenhundertdreißig Tage, in denen ich sporadisch immer wieder nachfragte. Bei einem Verlag, wohlgemerkt, dessen Verlagsprogramm zu drei Vierteln aus meinen bisherigen drei Büchern besteht.
Zum Glück gab es genug andere Projekte, mit denen ich mich ablenken konnte, sonst wäre ich die Wände hochgegangen. Meine ersten Bücher liefen gut in dem erwähnten Verlag; die Buchhändler bestellten andauernd Exemplare nach, Auflage eins von Buch eins näherte sich dem Ausverkauf, das Leserfeedback war super.
Warum ließen sie mich so lange warten? Sie selbst hatten doch gesagt, dass sie „schön dumm“ wären, das Buch nicht zu nehmen. Okay, sie hatten nach einem Jahr erst geschätzte fünfzig Seiten gelesen – aber sie sagten doch, dass ihnen das Buch bis dahin gefiel!
Es konnte doch nichts schief gehen, oder? Na gut, es war vielleicht kein renommierter Verlag, aber wie war noch gleich die Sache mit den geschenkten Gäulen? Ich konnte froh sein, wenn überhaupt jemand das Buch haben wollte!
Nach zwei elend langen Jahren war es endlich so weit:
„Wir würden das Buch gerne verlegen.“
Puh! Aufatmen war angesagt.
Und es vergingen wieder Monate, in denen nichts geschah.
Jetzt ging ich definitiv die Wände hoch wie Peter fucking Parker. Wie lange konnte es dauern, einen Vertrag aufzusetzen und die Sache wasserdicht zu machen? Wenn sie das Buch haben wollten, WIESO NAHMEN SIE ES DANN NICHT?!
Ziemlich traurige Geschichte, was? Ein Drama von Verzweiflung, zerstörtem Selbstbewusstsein, und einem Unternehmen mit dem Geschäftssinn eines besoffenen Spulwurms.
Aber Rettung nahte. Auftritt: Corinna Rindlisbacher.
Corinna und ich kannten uns aus Salzgitter; also seit Ewigkeiten. Sie kannte den Schatz seit der ersten Fassung. Und sie mochte das Buch, genau wie ich; vielleicht sogar ein bisschen mehr, zumindest hatte sie mehr Vertrauen in das Manuskript als ich damals.
„Hast Du schon mal daran gedacht, das Buch als eBook rauszubringen?“, fragte sie mich.
Ihbukk? Was ist ein Ihbukk? Oh Gott, doch nicht diese furchtbaren Dinger, die dabei waren, das echte, wirkliche, gedruckte Buch aufzufressen und den Untergang des Abendlandes herbeizuführen!
Der Schatz sollte kein eBook werden! Es sollte ein echtes Buch werden, zum Anfassen, zum Liebhaben! Ich meine, ich hatte bis dato nie einen eBook-Reader angefasst – aber ich war mir ziemlich sicher, dass das Zeugs keine Zukunft hatte. Niemals nie!
(Kennt ihr auch diese Momente, in denen ihr gern ein paar Jahre zurückreisen möchtet, um eurem früheren Ich gepflegt ein Gummihuhn um die Ohren zu hauen?)
„Vertrau mir“, sagte Corinna. „Ich weiß, was ich tue.“
Und das tat sie. Anders als ein gewisser Verlag, besaß Corinna tonnenweise Geschäftsinn – und war mittlerweile Chefin ihrer eigenen Firma, ebokks (benannt nach einem gern gemachten Schreibfehler im Zusammenhang mit elektronischen Büchern.)
ebokks war auf das Umwandeln von Manuskripten in eBooks spezialisiert. Anders als ich, hatte Corinna keinerlei Berührungsängste im Umgang mit dieser neuen Veröffentlichungsform. Und sie bot nicht nur an, den Schatz als eBook zu veröffentlichen, mit Tantiemen in bisher ungeahnter Höhe für mich – sondern auch einen dicken Vorschuss zu zahlen.
Natürlich sagte ich ja – und zeigte einem gewissen Verlag den Stinkefinger.
Paradoxerweise war ein Teil von mir gleichzeitig todsicher: das wird nichts. Ungeachtet aller Geschichten, die ich aus den USA hörte; von Autoren, die ganz ohne Verlage und Agenten von ihren Büchern leben konnten. Mit tausenden Fans – und mehr.
So etwas – da war ich ziemlich sicher – geht nur in den USA, dem Land der begrenzten Unmöglichkeiten. Aber niemals hier. Niemals nie.
Die ersten Monate bestätigten meine Meinung: 1 verkauftes eBook pro Monat – wenn es gut lief.
Es tat mir sehr leid für Corinna: all das Vertrauen – umsonst! Aber am meisten leid tat es mir für den Schatz: Bei aller unumstößlichen Sicherheit, dass das Buch zum Scheitern verurteilt war, mochte ich es immer noch sehr.
Selbst, als ich die erste Rezension sah, und die fünf gelben Sterne, die sie zierten, war ich sicher: es konnte nur ein Zufall sein; eine Verkettung glücklicher, niemals wiederkehrender Umstände.
Vielleicht ließ sich die Sache in Gang bringen, wenn nur mehr Leute von dem Buch wüssten? Die meisten meiner bisherigen Leser hatten vielleicht keinen eBookreader. Wenn man nur die Leute MIT Readern erreichen könnte. Aber wie? WIE?!
Corinna wusste wie: „Warum das Buch nicht für ein paar Tage verschenken?“
Verschenken? VERSCHENKEN? Warum, wieso, weshalb? Bei aller Liebe zum Leser, aber ich wollte doch auch ein bisschen was an dem Buch verdienen. Und schätzt man nicht die Dinge, für die man Geld ausgegeben hat, mehr als andere?
„Vertrau mir“, sagte Corinna. Und ich tat es. Wenn auch diesmal deutlich vorsichtiger.
(Der eine oder andere aufmerksame Leser wird vielleicht bemerkt haben, dass es in der Zwischenzeit auch eine Taschenbuchausgabe des Schatzes gab. Aber der Verkauf lief damals nur marginal besser als der der eBooks.)
Nikolaus 2012 war es so weit: eine dreitägige Gratisaktion für Der Schatz der gläsernen Wächter begann. Ich kreuzte die Finger, kniff die Augen zu und hielt den Atem an.
Vielleicht – wenn wir Glück hatten – würden sich ja ein, zweihundert Leser zu dem Buch verirren. Vielleicht würden sie sogar etwas Nettes darüber schreiben, was vielleicht sogar ein oder zwei Dutzend Leser dazu bewegen würde, das Buch nach der Aktion zu kaufen.
Wenn wir Pech hatten, würde sich auch gratis keine Seele für das Buch interessieren. Ich war auf diesen Fall nur allzu vorbereitet.
Schleudertrauma, betrifft es glaube ich am besten: Das Buch stieg so schnell in den Gratischarts auf, dass ich meinen Augen nicht traute. Platz 7? Das musste irgendein Computer-Fuckup sein. Platz 5? Wie war das möglich?
Platz EINS??? Nicht in der Sparte „Fantasy“ oder „Obskures“.
Platz eins – der Gesamtcharts.
Okay, dachte ich, und rang nach Atem. Okay, das heißt noch gar nix. Es ist immer noch gratis, denk dran!
Letztlich hatten gut 6.000 Leser das Buch heruntergeladen. Natürlich würde sich nicht jeder sofort darauf stürzen. Kindle-Leser, so hatte ich mir sagen lassen, sind bekannt dafür, Gratis-eBooks zu horten, selbst wenn sie diese niemals lesen würden. Aber trotzdem: der eine oder andere würde das Buch vielleicht öffnen, oder aktivieren, oder wie auch immer das neuerdings hieß. Vielleicht gefiel ihm oder ihr, was er/sie las?
Am 9. Dezember endete die Gratisaktion. Steve Jobs hatte den Schatz wieder von Platz eins verstoßen, aber ich war ihm nicht böse. Zumindest nicht lange. (Drei Wochen sind nicht lange, oder?)
Ich traute mich in den nächsten Tagen gar nicht, zu fragen, ob die Geschenkaktion irgendeine Auswirkung auf die Verkaufszahlen gehabt hatte. Gegen Weihnachten erhielt ich eine SMS von Corinna. Ich musste sie zweimal lesen, um zu begreifen, dass nicht nur mein Vorschuss abgegolten war, sondern ich ab jetzt sogar begann, an jedem Buch zu verdienen. Und das sogar ziemlich gut. Weit besser als bei einem gewissen Verlag.
Aus 200 verkauften eBooks wurden 500, wurden 600, wurden 900… und so weiter.
Und es trudelten immer mehr Rezis ein. Und der größte Teil hatte 5-von5-Sternen. Wie war das möglich? Konnte es sein – Schluck! – dass mich mein Instinkt damals doch nicht getrügt hatte, als ich das Buch schrieb? Sollte es tatsächlich ein spannendes Abenteuer geworden sein, das die Leute sogar mochten? Und nicht nur Jugendliche – sondern erwachsene Leser ebenfalls?
Schleudertrauma.
Die Verkäufe blieben super, über Wochen hinweg. Alle paar Tage traf eine neue Rezi ein. Buchblogger besprochen das Buch – und mochten es ebenfalls.
Verrückt.
Konnte das Ganze nur ein Zufall gewesen sein? Vielleicht sogar eine Verschwörung, um mir falsche Hoffnung zu machen? (Zweifelsohne eingefädelt von schurkischen Verlegern!)
Aber was, wenn nicht? Wenn es tatsächlich möglich war, als Autor, dessen Nachname nicht Schätzing, King oder Wie-auch-immer-die-Shades-of-Grey-Autorin-heißt lautete? Wenn es möglich war, Romane zu schreiben, so wie man sie selbst für richtig hielt, ungeachtet glitzervampirischer, sadomasichistischer Trends – und damit eine (zahlende) Leserschaft zu erreichen?
Mir schwirrte der Kopf. Ich begann mich fast obsessiv mit dem Thema eBooks zu beschäftigen. Den Möglichkeiten, den Chancen.
Und eine Erkenntnis setzte sich durch:
Ein Autor im 21. Jahrhundert braucht nachwievor ein Gespür für Geschichten, für Charaktere, für menschliches Drama. Vielleicht mehr denn je, denn die Konkurrenz ist riesig.
Aber eines braucht er nicht:
Einen Verlag.
Letzte Woche wurde Der Schatz der gläsernen Wächter als eines von elf Büchern von Amazon.de zum zweijährigen Jubiläum von Kindle Direct Publishing ausgewählt. (Tatsächlich war das Buch sogar auf dem Werbelogo der Aktion zu sehen!) Diese Aktion ist seit gestern vorbei – und das Buch steht (in diesem Moment) immer noch auf Platz 24 der Kindle-Gesamtcharts – und auf Platz 1 von Fantasy allgemein. Und nein, nicht der Gratis-Charts.
Möglich, dass es noch weiter aufsteigt. Möglich, dass es wieder sinkt.
Mir ist es einerlei: ich bin glücklich und zufrieden. Die Abenteuer von Kriss und Lian haben mehr, viel mehr Menschen erreicht, als ich zu hoffen gewagt hatte.
Dieses war das erste Happy End unserer epischen Geschichte. Obwohl, ein wirkliches Ende ist noch nicht erreicht. Ich habe das Gefühl, dass die Dinge für den Schatz gerade erst angefangen haben.
Das zweite Happy End ist eigentlich auch kein Ende, sondern ein Anfang. Denn wie ich mittlerweile erfahren hatte, lagen die eBook-Rechte für die Kenlyn-Chroniken nicht wie bislang geglaubt bei einem gewissen Verlag, sondern dort, wie sie hingehörten: beim Autor.
Also, mein Schlusswort an alle Schreiberlinge dort draußen: Vertraut euren Instinkten. Unverhofft kommt oft; öfter, als ihr glaubt. Es gibt Millionen Leser dort draußen.
Und es ist so einfach wie nie zuvor, sie zu erreichen.