Deine Lektorin, das unbekannte Wesen

Foto (c) Simone Fürst, Braunschweig

Wie ihr wisst, stelle ich euch auf diesem Blog immer wieder mal die Leute vor, mit denen ich so zusammenarbeite. Eine fast ständige Begleiterin ist dabei Lara Tunnat, meine Lektorin und – wie das bei Autoren so ist, die mit der Kunst hadern! – manchmal auch Seelsorgerin.

Ich bin erschrocken, wie viele Mitglieder der schreibenden Zunft glauben, sie bräuchten keinen Lektoren/keine Lektorin, weil diese „in meinen Texten herumfuhrwerkeln“ oder anderem Irrglauben verfallen sind. Ich jedenfalls würde Laras Hilfe nicht mehr missen wollen.

Aber am besten lassen wir sie selbst zu Wort kommen!

Hi Lara. Viele haben die Vorstellung, dass ein Lektor/eine Lektorin »nur« Rechtschreibfehler korrigiert – aber weit gefehlt! Erzähl uns doch ein bisschen was über Deine Aufgaben.

Stimmt, Lektoratsarbeit umfasst viel mehr als falsch geschriebene Wörter zu berichtigen. Lektoren haben ja nicht nur mit Texten, sondern auch mit deren Verfassern zu tun. Das erfordert Fingerspitzengefühl – und auch die eine oder andere »Therapiesitzung«, wenn eine Schreibblockade droht oder die Kritik des Lesepublikums harsch ausfällt.
Was abseits des Zwischenmenschlichen an Arbeit anfällt, hängt davon ab, ob man im Verlag oder freiberuflich arbeitet. Ich habe meine Laufbahn ganz klassisch begonnen: mit Praktikum, Volontariat und Anstellung im Verlag. Zwar hätte ich mich auch gleich selbstständig machen können (»Lektor« ist keine geschützte Berufsbezeichnung), aber mir war es wichtig, das nötige Rüstzeug zu besitzen.
Also lernte ich, wie Manuskripte professionell bearbeitet werden, und betreute verschiedenste (Hör-)Buchprojekte: von der Prüfung unverlangt eingesandter Exposés bzw. der Entwicklung eigener oder fremder Projektideen über die Manuskriptbearbeitung bis hin zur Entscheidung über Layout/Cover und das Verfassen von Werbetexten. Vertragsverhandlungen mit Autoren, Illustratoren, Übersetzern usw. gehörten ebenso zu meinen Aufgaben wie die Anbahnung des (Ver-)Kaufs von Buchlizenzen.
Was mir als angestellte Lektorin verwehrt blieb, war es, frei zu entscheiden, welche Projekte ich bearbeite. Als Selbstständige kann ich sowohl Dissertationen korrigieren als auch Romane lektorieren oder Hörspiele bearbeiten. Ich kann über die Kapriolen in einem Kinderbuch lachen, mit dem Ermittler eines Krimis Mörder suchen, in Fantasywelten eintauchen oder erleben, wie Romanfiguren die große Liebe finden.
Kurzum: Meine Tätigkeit ist vielfältig, konzentriert sich letztlich aber auf zwei Dinge, nämlich darauf, Texte in jeglicher Hinsicht zu verbessern (Inhalt, Aufbau, Sprache …) sowie den Autorinnen und Autoren zu helfen, ihr Können zu verfeinern.

Wie geht man als Lektorin damit um, wenn ein störrischer Autor partout nicht auf einen hören will?

Damit muss man leben. Als Lektorin habe ich kein Recht darauf, Gehör zu finden. Ich kann gute Argumente anführen, warum ich eine Änderung für notwendig erachte. Beharrt mein Gegenüber aber darauf, den Text unverändert zu lassen, ist das ihre/seine Entscheidung.
Mir ist es wichtig, die Wünsche und Vorstellungen der Autorinnen und Autoren zu respektieren, schon weil sie einen enormen Vertrauensvorschuss gewähren, indem sie ihr Werk in fremde Hände geben. Wenn einzelne meiner Vorschläge nicht berücksichtigt werden, ist das völlig in Ordnung. Ich bin nicht böse, weil sich jemand nicht rundum von mir überzeugen lässt.
Problematisch fände ich es, wenn alle Änderungen abgelehnt würden. In diesem Fall wäre zu klären, ob ein Missverständnis oder ein technisches Problem vorliegt. Sollte die gänzliche Missachtung allerdings Absicht sein, würde ich von einer erneuten Zusammenarbeit absehen: Liegen die Vorstellungen so weit auseinander, wäre es Zeit- und Geldverschwendung, weitere Versuche zu starten.

Kann man als Lektorin Bücher überhaupt noch genießen oder liest man automatisch mit »Lektorenbrille«?

Ja, die »Lektorenbrille«, die sich selbst in der Freizeit nicht ablegen lässt, ist eine malaise professionel: Da wird jeder Text und – zum Leidwesen der Mitmenschen – auch jede Aussage verbessert und selbst die private Lektüre im Kopf lektoriert.
Das kann den Lesegenuss schon mindern, aber mir kommt diesbezüglich zweierlei zugute: Erstens korrigiere ich mit Freude (also auch gerne in der Freizeit) und zweitens lese ich privat vorwiegend Englisches (und in der Fremdsprache ist der Drang, alles mit beruflichem Blick zu betrachten, weniger stark ausgeprägt).

Gibt es eine Marotte, die Dir bei verschiedenen Autoren immer wieder begegnet?

Eine (seltene) Marotte ist der Wunsch, lediglich bestätigt zu bekommen, dass das eigene Werk perfekt ist. Da bin ich die falsche Ansprechperson: Ich lüge nicht mal dann, wenn man mir dafür Geld anbietet.
Ansonsten gibt es typische Anfängerfehler und gängige sprachliche Unsauberkeiten, die in nahezu jedem Manuskript auftauchen. Häufig anzutreffen sind beispielsweise behauptete Gefühle (d.h. eine Figur erklärt, etwas Bestimmtes zu empfinden, verhält sich aber nicht entsprechend) oder unwillentlich vermischte Redewendungen (wie »der Stein, der das Fass zum Überlaufen bringt«).

Was ist für Dich das Erfüllendste an Deiner Arbeit?

Die Freude einer Autorin/eines Autors, deren Erwartungen übertroffen wurden.

Hast Du einen Ratschlag parat, von dem alle Autoren profitieren?

Puh, schwierig! Lass mich überlegen …

  • Wir alle übersehen unsere eigenen Fehler. Daher hilft es, Manuskripte von mehreren Personen gegenlesen zu lassen.
  • Möchte man das eigene Werk beurteilen, sollte man es zuvor eine Weile beiseitelegen. Abstand zum Geschriebenen ist der Freund aller Schreibenden!
  • Wer Figuren einsetzt, sollte darauf achten, dass ihr Verhalten nachvollziehbar und natürlich wirkt. Tut es das nicht, liegt es möglicherweise daran, dass der Figur Verhaltensweisen angedichtet wurden, die den eigenen Vorstellungen, nicht aber dem Charakter der Figur entsprechen.
  • Gut zu schreiben ist harte Arbeit. (Wer etwas anderes behauptet, ist entweder ein literarisches Genie oder ein Lügner.) Also nicht verzweifeln, wenn es sich so anfühlt!

Vielen Dank, Lara!

Wer mehr über Lara und ihre Arbeit wissen oder sie sogar engagieren möchte, dem sei hiermit ihre Website wärmstens empfohlen: www.lektorat-tunnat.de!