In jener Nacht nach der Preisverleihung hatte ich einen Traum. Ich bin ein kleiner Fernsehautor mit reinem Herzen und will zu einem Wettbewerb, um dort eine Idee zu pitchen, das Skript unter den Arm geklemmt. Doch so sehr ich es auch versuche, ich komme nicht vom Fleck. Ich blicke an mir herab und sehe: Claudia Michelsen hat meine Füße am Boden festgeklebt. Ich schaue nach oben und dort steht Sylvester Groth, öffnet seinen Hosenlatz – und lässt einen kalten, goldenen Regen auf mich niedergehen, während er lacht und lacht und lacht…
Was mochte das nur bedeuten?
Einerlei. Unser letzter Tag in Daun war angebrochen und unsere Laune konnte besser nicht sein, denn wir hatten einen Plan gefasst: Nachher würden wir uns bewaffnen und eine Kugel nach der anderen verballern, solange, bis unser Durst nach Vergeltung gestillt war.
Aber die Schießerei musste vorerst hinten anstehen. Denn die Stoffbörse Der Clou war schließlich nicht die einzige Veranstaltung im Zuge des Krimifestivals. Eine andere war ein Vortrag zum Thema Sherlock Holmes im Film, gehalten von zwei TV-Dramaturgen. Als altgediente Holmes-Fans wollten Nils und ich dort natürlich mal hineinschnuppern.
Gesagt, getan. Und so wurden wir in anderthalb Stunden staunende Zeugen einiger sehr … sagen wir kreativer Auslegungen der Holmes-Geschichten. Doch es schien nicht allen zu gefallen. So murmelte der Herr links von uns in einem fort: „Stuß… die reden Stuß! Absoluten Stuß!“
Allerdings war der Titel des Vortrags tatsächlich etwas unglücklich gewählt. Treffender wäre vielleicht gewesen: Der unglaubliche Erfolg des neuen BBC-Sherlocks und wie deutsche Fernsehschaffende ihn nachäffen können, ohne dafür zu bezahlen.
Tatsächlich gingen auf die Frage der beiden Redner, wer im Publikum (das sich aus nicht wenigen Autoren zusammensetzte) eine zündende Idee für einen Zünftigen Deutschen Sherlock hätte, nicht wenige Hände hoch. Ich nehme an, die beiden Veranstalter waren darüber sehr entzückt. Ähnlich verzückt wie die weibliche Hälfte des Pärchens es war, als sie von Benedict Cumberbatch schwärmte.
Sie hörte praktisch gar nicht damit auf.
Aber es sei ihr gegönnt. Ist es nicht schön, wenn die Leute Spaß an ihrer Arbeit haben?
Wieder von dem Drang zu schießen erfüllt, sehnten sich Nils und ich uns nach dem eigentlichen Highlight des Tages. Und siehe da, tatü-tata!, schon kam die Polizei, um uns und einige andere Schießwütige einzusammeln.
Denn eine weitere Veranstaltung des Tatort Eifels war ein Besuch auf dem Schießstand der örtlichen Polizei, um dort mit echten Dienstwaffen zu schießen.
Ich weiß nicht, wie oft ich schon geschrieben habe: „Er ging mit der Waffe im Anschlag“. Oder „er drückte ab“, etc. Theoretisch war ich mit der Macht und Wirkung von Feuerwaffen vertraut. Aber die einzigen Pistolen, die ich bis dato abgefeuert hatte, waren made in china und verschossen kleine Gummipümpel. Das Ganze würde also eine wertvolle Lektion für kommende Skripte und Projekte werden. Zumindest hoffte ich das.
Und so war es auch.
Nur ein paar Wochen zuvor hatte ich gelesen, dass es zwei Arten von Menschen gibt: die einen, die nach dem Gebrauch der Feuerwaffe nie wieder eine Pistole anfassen wollen – und diejenigen, die es kaum erwarten können, wieder zu schießen.
Ich war aus tiefstem Herzen überzeugt, dass ich zu Kategorie 1 gehören würde.
Wie sich herausstellte, hatte ich mich geirrt.
Stop, oder mein Autor schießt! Fühlte ich mich cool mit der Knarre in der Hand? Aber sowas von!
Benedikt Däges (siehe Foto) vom Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz führte Nils und mich mit viel Geduld und Humor in den Gebrauch der Dienstwaffen ein. Wir begannen mit Übungswaffen. Diese wiesen zwar das echte Gewicht und Gehäuse einer Dienstwaffe auf, waren jedoch mit Gasmunition gefüllt. Trotzdem gaben sie uns ein ziemlich gutes Gefühl für die Handhabung der Waffe.
Wir lernten, wie man so ein Ding zu halten hat (eine Hand um den Griff, die andere schützend darüber, den Finger niemals in Abzugsnähe, es sei denn, man hat ernsthaft vor, zu schießen), wie man ein leeres Magazin entlädt und blitzschnell ein neues einführt. Und und und.
Ihr kennt das Bild: Unser Held schleicht durch ein düsteres Treppenhaus, die Pistole in beiden Händen, die Arme angewinkelt und die Mündung nach oben gerichtet, ganz nah am Gesicht. Dramatisch, oder?
Japp. Und völliger Blödsinn.
Eine geladene Waffe ist brandgefährlich. Klingt naheliegend, ich weiß. Aber erst, wenn man mit so einem Ding geschossen hat, begreift man, wie ernst die Angelegenheit ist. Es gibt einen Grund, warum selbst Polizisten nur im absoluten Notfall zur Waffe greifen. Dementsprechend wird eine gezogene Pistole mit der Mündung Richtung Boden gehalten – denn wenn unbeabsichtigt eine Kugel losgeht, besteht dort das geringste Risiko, jemanden zu treffen.
Nachdem wir den Dreh mit den Übungswaffen einigermaßen raushatten, ging es ans Eingemachte. Wir bekamen echte, wirkliche Dienstwaffen mit echter, wirklicher – und tödlicher – Munition. Die Waffe der Wahl: eine Walther P99-Q.
Abwechselnd durften Nils und ich auf starre und bewegliche Zielscheiben schießen, die ringsum an die Wände projiziert wurden. Natürlich trugen wir dabei Kopfhörer und Schutzbrillen, denn so eine Waffe ist nicht nur markerschütternd laut, es besteht auch die Gefahr, eine Patronenhülse ins Gesicht zu bekommen, wenn sie ausgeworfen wird.
Ich glaube, ich habe mich gar nicht mal schlecht geschlagen und wenigstens die Hälfte aller Ziele getroffen. Nils dagegen – der Mann ist eine absolute Tötungsmaschine. 14 von 15 beweglichen Zielen ballert er weg, ohne mit der Wimper zu zucken.
Mein Tipp zum Überleben: Legt euch nicht mit Nils an.
Keine Sorge, ein Waffennarr wie dieser werte Herr hier ist aus uns nicht geworden. Dafür haben wir jetzt ein wesentlich besseres Gefühl für das, was unsere Charaktere durchleben, wenn sie von der Schusswaffe Gebrauch machen.
Wir bedankten uns herzlich für die Lektion. Danach ging es auch schon wieder Richtung Heimat. Von Ausruhen war allerdings keine Rede, denn der garstigste Umzug aller Zeiten stand unmittelbar bevor. Aber das ist eine andere Geschichte – und soll am besten niemals erzählt werden.
Nichtsdestotrotz hat uns der Tatort Eifel um einige wertvolle Lektionen bereichert:
– „Wir bleiben in Kontakt“ aus dem Munde eines Fernsehredakteurs bedeutet absolute Funkstille.
– Vertreter des deutschen Fernsehens feiern gerne – mit Vorliebe sich selbst.
– Schauspieler mit realistischen Gehaltsvorstellungen sind keine Freunde deutscher Fernsehschaffender.
– die meisten Frühstücksflocken enthalten Zucker.
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Sorry für die suboptimale Bild und Ton-Qualität!