Manchmal glauben wir, wir haben alle Zeit der Welt, ohne zu wissen, wie knapp die Zeit wirklich ist.
Als ich Sven kennenlernte (ich bin ziemlich sicher, dass es 2010 auf der HÖRSPIEL-Messe in Hamburg war), kam er mir vor wie ein sanfter Riese: fast zwei Meter groß, mit jener unverwechselbaren, samtig-tiefen Stimme, die ich schon längst kannte. Ralf Pappers, mit dem ich zuvor schon gearbeitet hatte, stellte uns einander vor. Wie sich zeigte, mochte Sven meine Hörspiel-Serie Das dunkle Meer der Sterne – und ich war Fan von seiner Schöpfung, Rick Future.
Natürlich war das der perfekte Konversationsstarter. Was ich an Rick Future liebte (und immer noch liebe) war der kunterbunte Kosmos voller Sense of Wonder, den Sven ins Leben gerufen hatte. Und ich schätzte ihn auch als Sprecher sehr.
„Wie wärʼs?“, traute ich mich irgendwann zu fragen, „meinst du, ich könnte vielleicht mal was für RF schreiben? Eine Kurzgeschichte oder sowas?“
Sven freute sich über die Idee – was mich sehr ehrte, denn ich weiß, wie schwierig es für einen Autoren sein kann, andere für sein metaphorisches Baby schreiben zu lassen. Na ja, dachte ich, wenn ihm die Story nicht gefällt, kann er sie ja immer noch zerreißen.
Begeistert haute ich die Kurzgeschichte Zweitkontakt in die Tasten. Und wie sich zeigte, mochte Sven sie sehr.
So sehr sogar, dass wir bald darüber sprachen, ob ich nicht Lust hätte, weitere Folgen für Rick Future schreiben wollte. Ist der Weltraum-Papst reptilisch? Und ob ich Lust hatte!
Und ehe ich mich versah, war ich festes Mitglied des Rick-Future-Teams.
Sven und ich telefonierten gerade in dieser frühen Zeit lange und viel: wir brainstormten Ideen, verfeinerten Plotlines, sprachen über die Charaktere; ihre Vergangenheit und ihre Zukunft. Man erfährt viel über einen anderen Kreativen während solcher Prozesse, bekommt Einsicht in seine Denkweise und seinen Charakter.
Ich erinnere mich immer noch mit einem wehmütigen Lächeln an diese Zeit damals: diesen wilden, irrwitzigen Austausch von Ideen über mehrere Wochen hinweg, das kreative Fieber, das in uns brannte.
Nach außen hin wirkte Sven immer ruhig und friedlich. Der Typ, der keiner Fliege was zu leide konnte – immer für seine Fans da, doch gleichzeitig jemand, der das Rampenlichts scheute. Der nicht über seine Arbeit redete, sondern sie lieber machte.
Was die wenigstens auf den ersten, zweiten oder gar dritten Blick sahen, war die Leidenschaft für das Geschichten-erzählen, die Sven im Blut lag. Und wenn er erst mal dabei war, sich eine neue Geschichte auszudenken, konnte keine Macht der Welt ihn bremsen: seine Ideen waren fantastisch, kühn, mitreißend. Als er mir von einigen der geplanten Plots für RF erzählte, stand mir der Mund offen und ich dachte: Verdammt, das wird so gut! Warum ist mir das nicht eingefallen? (Letzterer Satz ist eines der größten Komplimente, die ein Künstler vergeben kann, glaube ich.)
Aber egal, ob seine Geschichten in den Weiten der Galaxis spielten, in fantastischen Ländern oder einer fernen Vergangenheit, die es nie gab, sie waren vor allen Dingen eines:
Zutiefst menschlich.
Svens Helden haben Fehler, und sind nicht immer bereit, aus ihnen zu lernen. Aber sie haben ein großes Herz. Genau wie Sven es hatte.
Alle Künstler lieben ihre Kreationen. Aber bei Sven war diese Liebe greifbar; eine mitreißende, wunderbare Kraft. Ich war (und bin) ein Fan: nicht nur von seinem Schaffen, sondern von ihm als Schöpfer.
Sven war ein wahrer Künstler: kompromisslos, wenn es darum ging, seine Werke umzusetzen. Die Geschichte stand bei ihm immer im Vordergrund – pfeif auf Kommerz, pfeif auf das, was andere erwarteten. Dafür, und für so vieles mehr, muss man ihn bewundern.
Doch wie all zu viele Künstler rang er auch mit seinen Dämonen; Schatten, die ihn nicht losließen, und die ihm allzu oft seine Kraft raubten – und vor allem seinen Glauben an sich selbst. Ich glaube fest daran, dass er das ganze Universum hätte rocken können, wenn er es nur geschafft hätte, sich davon zu befreien; in sich selbst zu sehen, was wir, seine Freunde und die Fans, in ihm sahen.
Doch auch, wenn es zwischendurch Phasen gab, in denen es schien, als habe er die Oberhand, würde er den Kampf letzten Endes verlieren.
Es ist immer noch surreal, von Sven in der Vergangeheitsform zu schreiben und zu sprechen. Der Drang ist immer noch da, bei jeder neuen, rick-future-bezüglichen Idee Sven anzuschreiben und einmal mehr mit ihm kreativ die Sau raus zu lassen, sich im Rausch des Geschichten-erzählens zu ergehen. Noch einmal, ein allerletztes Mal mit ihm zu telefonieren. Ihn zum Lachen oder zum Staunen zu bringen, in der Hoffnung, ihn nur für kurze Zeit von der Dunkelheit abzulenken. Dass dies nicht mehr möglich ist, macht mich unendlich traurig. Wie so viele hatte ich gehofft, ihn noch für eine lange, lange Zeit in meinem Leben zu haben.
Freunde von ihm wussten schon seit einiger Zeit, dass es schlecht um Sven stand. Doch wir wussten nicht, wie schlecht es in Wahrheit war – und im Nachhinein frage ich mich, ob er es als Einziger nicht schon gewusst oder zumindest geahnt hatte. Doch wenn, dann hatte er es mit keinem Wort erwähnt. Sven wollte niemals, dass man sich Sorgen um ihn macht.
Als er schließlich Ende letzten Jahres ins Krankenhaus eingeliefert wurde, war das ein Schock. Doch gänzlich unerwartet war es nicht. Die folgenden Wochen waren eine Achterbahnfahrt aus Hoffnung und Angst. Ich hätte vieles darum gebgeben, ihn noch einmal zu sehen, ein letztes Mal mit ihm zu sprechen, mich zu verabschieden. Aber es war mir nicht vergönnt, keinem von uns, egal wie lange wir ihn kannten. Ich schätze, er wollte nicht, dass man ihn so in Erinnerung behielt: so unendlich schwach. Im Nachhinein frage ich mich, ob es nicht besser so war, denn wann immer ich mich an Sven erinnere, sehe ich wieder den sanften Riesen vor mir, als den ich ihn damals kennengelernt habe; höre seine Stimme, zitternd vor Aufregung, bei all den Ideen, die wir ausheckten.
Es hat mich sehr froh gemacht, zu sehen, wie viele Leute nach seinem Tod geschrieben haben. Darüber, wie viel sein Werk ihnen bedeutet – und damit auch er. Denn Svens DNS, seine Seele, war in jeder einzelnen Geschichte, die er je erzählt hat, in jedem Satz, den er eingesprochen hat. Rick Future, der Charakter, hat mehr von ihm, als viele ahnen. Teils war er immer, glaube ich, eine Wunscherfüllung: Sven, wie er gerne gewesen wäre.
Aber so vieles von Rick – vielleicht mehr als Sven selbst geglaubt hat – steckte auch in dem Mann, der ihn erfunden hat: Sven war, genau wie Rick es ist, ein Träumer, im Herzen ein Entdecker und Abenteurer.
Es wird traurig sein, die Serie wieder zu hören; Svens Stimme wieder im Ohr zu haben. Traurig – oder eher bittersüß: denn zusammen mit seinen Geschichten lebt ein Stück von ihm weiter, und sei es nur in unserer Erinnerung. Und auch darüber bin ich sehr froh.
Ich bin nicht ganz sicher, ob ich an eine unsterbliche Seele glauben kann (ich versuche es zumindest). Aber mir gefällt die Vorstellung von einem Sven Matthias, der – endlich losgelöst von der Schwere des irdischen Daseins und der Last seiner Dämonen – durch das Universum reist, und all die Welten und Wesen erkundet, die es dort draußen gibt.
So oder so: Rick Future wird weiterexistieren – und damit auch der sanfte Riese, dieser wunderbare Mensch, den ich Freund nennen durfte.
Licht und Frieden, Sven. Wo auch immer du jetzt bist.